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Mary ist tot
von Iris Alberts
23. Mai 08
Heute ist seit einger Zeit der erste Tag, der nicht mit der Frage "Gibt es etwas Neues von Mary?" beginnt. Es wird nie wieder Neues von Mary geben. Sie ist tot. Gestern nachmittag wurde sie von einem Zug überrollt.
Das sinnlose Ende eines sinnlosen Lebens? Auf jeden Fall ein Tod, der schwer zu akzep-tieren ist.
Mary war 7 Jahre alt, als sie am 25. April gemeinsam mit 5 anderen Beagles das Labor verließ. In all den Jahren hat sie für Nachwuchs gesorgt - es war nicht zu übersehen.
Sie zog zunächst zu Rebecca, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch keinen geeigneten Interessenten für sie hatten. Wir öffneten die Box in Rebeccas Garten und die Hündin ließ sich nicht lange bitten und kam neugierig heraus. Das Leben im Labor hatte Spuren hinterlassen. Etliche Narben auf der Nase und ein Einriss im Ohr zeugten von Auseinandersetzungen mit Artgenossen. Es war daher auch nicht verwunderlich, dass sie die Anwesenheit unserer Beagles Silka und Sally ohne besondere Begeisterung zur Kenntnis nahm.
Marys erste Begenung mit Blumen
Ihr erster kleiner Ausflug durch den kleinen Garten endete in einer Ecke am Zaun, die sie dann freiwillig nicht mehr verlassen wollte. Fressen und Saufen wollte sie auch nicht. Das Wetter war gut und so blieb sie den Rest des Tages mit uns im Garten. Abends wurde sie ins Haus getragen und ließ die Streichel-einheiten geduldig über sich ergehen.Inzwischen hatte die kleine Lady auch einen Namen: Mary. Der schien ihr zu gefallen, jedenfalls hob sie den Kopf, wenn wir sie ansprachen.
Mary blieb eine Woche lang bei Rebecca. und verbrachte die meiste Zeit im Garten. Rebecca baute ihr ein Sonnensegel aus Wolldecken, weil sie Angst hatte, Mary würde einen Sonnenstich bekommen. Nachts suchte sich Mary ein geschütztes Plätzchen im Wohnzimmer.
Sie war eine sehr scheue Hündin und näherte sich in winzigen Schritten Silka, der Hündin, und der Familie an. Langsam begann sie zu Fressen. Es ging bergauf. Rebecca hätte Mary gern behalten, leider lässt ihr Mietvertrag einen zweiten Hund nicht zu.
Dann fand sich eine geeignete Interessentin und Mary zog um. Das Glück hielt nicht lange. Ein schwerer Krankheitsfall in der Familie machte es unmöglich, sich angemessen um Mary zu kümmern.
Schnell fanden wir eine neue Stelle und Mary zog zum letzten Mal um. Sie war noch keine 18 Stunden dort, als sie in einem unbeobachteten Moment unter dem Gartentor verschwand. Das passierte am 10. Mai. Sofort begann die Suche nach Mary, an der sich außer der Halterin auch einige weitere Beaglefreunde aus der Umgebung beteiligten. Rebecca und Wolfram reisten aus Winsen an. Die Suche bleib zunächst erfolglos.
Nachdem die Zeitungen eingeschaltet waren, die alle bereitwillig über Marys Verschwinden berichtet haben, gab es dann eine Sichtung nach der anderen. Gestern gelang es den Helfern endlich, Mary mit einem Netz einzufangen. In ihrer Panik biss sie um sich und konnte sich so befreien.
Dann lief sie auf die Geleise. Der Versuch, den Zug zum Anhalten zu bewegen, scheiterte. Mary starb sofort. Die geschockten Helfer, die zusehen mussten, nahmen sie mit und beerdigten sie.
Mary hatte kein schönes Leben und auch keinen schönen Tod. Die vier Wochen in Freiheit haben nicht gereicht, um Vertrauen zu Menschen aufzubauen. Mary hat nicht erlebt, was es heißt, eine eigene Familie zu haben, die es gut mit ihr meint. Einige von uns haben Mary kennen lernen dürfen und wir weden dafür sorgen, dass sie nicht vergessen wird.
Wenn man versucht, dieser Geschichte etwas Positives abzuringen, dann ist es die bedingungslose Hilfs- und Einsatzbereitschaft der Menschen, die vor Ort alles dafür getan haben, Mary zu finden. Auch die lokale Presse war sehr kooperativ. (Die Zeitungsartikel finden Sie hier.)
Nehmen Sie, liebe Leser, diese tragische Geschichte bitte zum Anlass, gut auf Ihre Hunde aufzupassen. Lassen sie sie in der ersten Zeit nie und nirgends ohne Geschirr und/oder Halsband laufen. Mary würde noch leben, hätte sie ein Halsband getragen!
