Zehn mal geteiltes Leid ist nur noch ein zehntel Leid, und so kommen wir recht schnell zu homöopathischen Leid-Dosen, die kaum mehr sind als ein unterschwelliges Grummeln - wenn überhaupt.
Und wer hat's erfunden? Facebook! Richtig!
Kann sich noch jemand an die Zeit erinnern, in der wir das Leid von Tieren, das schnell unser eigenes wurde, allein tragen mussten, wenn gerade kein Freund in der Nähe war? Apropros Freunde: nie gab es mehr davon als heute. Sie zu gewinnen erfordert einen Mausklick. Wirklich genial. Und auf die so gewonnenen Freunde können wir dann unser gesamtes Leid gleichmäßig per Mausklick verteilen.
Irgendwo in der langen Kette der durch Teilung Bereicherten wird sich hoffentlich jemand finden, der tatsächlich den Hintern hochkriegt für eine Aktion, die noch etwas mehr erfordert als einen Mausklick. Der sich zum Beispiel bereiterklärt, einem alten und/oder kranken Tier noch ein paar schöne Tage/Wochen/Monate zu schenken.
Soziale Netzwerke ermöglichen ein sehr schnelles Verbreiten von Informationen - und ein ebenso schnelles Verteilen und Weiterleiten von moralischen Ansprüchen. Das Ganze ist dezent unterlegt von einer Kommunikation, die diese Bezeichnung oft nicht verdient. Der Daumen nach oben muss reichen. Wenn schon getextet wird, dann gerne in gestammelten Halbsätzen, die viel Interpretationsspielraum lassen. Im Zweifel tut's auch ein Bildchen. Das Leben ist bequem und einfach, die Verbesserung der Welt wird zentral vom Sofa aus gesteuert, und man gehört trotzdem zu den Guten, weil man dafür sorgt, dass andere die Möglichkeit bekommen, aktiv zu werden.
Das funktioniert allerdings nur, solange diejenigen, die am Ende der Kette stehen, das Prinzip der Teilung noch nicht verstanden haben.
Wenn wir wirklich diese Welt ein Stückchen besser machen möchten, müssen wir uns bemühen, in unserem Handeln unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und das Ende der Bequemlichkeit in Kauf nehmen.
Das Heilen-durch-Teilen-Prinzip ist nicht das einzige Problem, das durch die großen sozialen Netzwerke entstanden ist. Am Beispiel der Beschlagnahme der Green Hill-Einrichtung in Montichiari stolpert man über weitere. In userem ganz konkreten Fall geht es darum, dass unser Verein sich dafür entschieden hat, in Kooperation mit den Instituten den Hunden zu helfen. Dieses Vorgehen hat sich in der Vergangenheit bewährt, für eine nennenswerte Anzahl von Hunden gab es das "Leben danach". Dazu war und ist es notwendig, sich klar von den Tierbefreiern und ihren Methoden zu distanzieren. Durch das exzessive Teilen von Bildern und Berichten, deren Herkunft oft genug nicht nachvollziehbar ist, verwischen die Grenzen. und man läuft Gefahr, den Ausgangspunkt der Protestbewegung aus den Augen zu verlieren.
Diese Menschen möchten Tierversuche abschaffen und sind bei der Wahl der Mittel nicht gerade zimperlich. Im Gegenzug nehmen sie dafür sogar Haft in Kauf. Das kann man heldenhaft finden, aber wer glaubt denn im Ernst, dass auf diesem Weg das Ziel erreicht werden kann?
Wäre der Protest erfolgreich und würde zur Schließung der Anlage führen: Was wäre damit gewonnen? Die Tiere würden an einem anderen Standort gezüchtet und hätten längere Transportwege.
Die Vorgänge in Montichiari sind der deutschen Presse bislang keine Zeile wert, auf den Seiten von PETA gibt es dazu keine Silbe, während die Facebook-Community bereits vor drei Tagen den Sieg erklärte, um nun allmählich zu begreifen, dass das alles doch etwas komplizierter ist. Das kann in der allgemeinen Euphorie leicht untergehen.
Jeder, der sich auch nur am Rande mit dem Thema beschäftigt hat, kennt dank Facebook das Bild des Welpen, der über den Zaun gehoben wird und von entgegen gestreckten Händen angenommen wird. Das ist ein grandioses Bild. Es steht für das, was wir uns alle wünschen: freie Hunde.
Es beantwortet aber nicht die Frage nach dem richtigen Weg, auf dem mehr Sorgfalt als Geschwindigkeit gefragt ist.
Text/Copyright: Iris Alberts