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Sind Sie Masochist?

Vielleicht überrascht Sie die Frage. Dass ich sie mir gestellt habe, kam so:

Gestern rief mich eine verzweifelte Frau an, die zur Zeit einen Pflege-Laborbeagle beherbergt. Der junge Rüde kam aus Ungarn und wurde von einer Tierschutz-Organisation nach Deutschland vermittelt. Leider konnte er aufgrund einer Allergie nicht in der Familie bleiben und so kam er in diese Pflegestelle. Erfahrung mit Hunden ist reichlich vorhanden, auch mit schwierigen Hunden aus dem Tierschutz. Im Haushalt leben noch zwei Hütehunde.

Als die Frau sich bereit erklärte, den Beagle in Pflege zu nehmen, wusste sie nichts über Beagle. Sie erwartete einen mittelgroßen, freundlichen, möglicherweise etwas schüchternen Hund und dann kam Lou, der sie an den Rand des Wahnsinns treibt.

Lou geht gerne spazieren, sogar ohne Leine. Er ist prima abrufbar und das ist auch gut so, weil sein Verhalten an der Leine sehr zu wünschen übrig lässt. Man fragt sich, wer mit wem spazieren geht. Für Menschen, die bisher mit großen, schweren Hunden unterwegs waren, eine erstaunliche Erfahrung.

kuechenhilfeAusreichend Bewegung im Freien (2 bis 3 Stunden täglich) gefällt Lou ganz gut, sorgt aber keineswegs dafür, dass er sich Haus ruhig verhält. Er nervt die Hunde der Familie mit seinem konstant hohen Aktivitätsniveau und man kann ihn keine Sekunde aus den Augen lassen, ohne dass er sich irgendwelchen Blödsinn ausdenkt. Er kaut alles an und pinkelt, wenn er muss, dorthin, wo er gerade ist. Draußen vergisst er es oft. Er klaut Lebensmittel, wenn er Zugang dazu hat und sortiert den Müll um. Er schreddert Papier, wenn er es erwischt. Er betätigt sich ungebeten als Küchenhilfe. Und bei all seinen Streichen scheint er frech zu grinsen. In den seltensten Fällen macht er, was man von ihm möchte.

02kuechenhilfeIch höre mir geduldig die Geschichte von Lou an. Es könnte auch die von Lenny sein. Lenny ist auch ein junger Rüde, der seit einem Jahr bei mir lebt. Auch er ist anstrengend, sehr anstrengend. Die Pflegestellen-Frau hatte in der Hoffnung auf brauchbare Tipps hier angerufen und erfuhr nun von mir, dass Lous Verhalten ziemlich normal ist, was sie zu der Frage führt, ob alle Beaglehalter Masochisten sind.

Nach dem spontanen Impuls, diese Frage empört zurückzuweisen, begann ich, darüber nachzudenken. Bin ich Masochist? Leide ich gerne? Warum mache ich mir die Geschichte mit der Hundehaltung nicht einfach und adoptiere einen Pudel oder einen Hütehund oder mehrere? Warum müssen es unbedingt Beagle sein?

Was ist so toll daran, mit Hunden durch den Wald zu laufen, die zu gefühlten Doggen mutieren, wenn sie eine Wildspur haben und mich hinter sich herziehen?

Brauche ich die mitleidigen Blicke in der Hundeschule, nachdem mir in wenigen, aber deutlichen Sätzen erklärt wurde, dass das Unterfangen sinnlos ist, weil Beagle unerziehbar sind?

Macht es mir wirklich Spaß, in der Küche zu essen, weil ich keine Chance mehr habe, den Tisch zu decken, wenn keine zweite Person zum Bewachen der Speisen bereitsteht?

Ist es normal, alles, was mir lieb ist, stets unter Verschluss zu halten?

Ist es wirklich kein Problem, dass ich beim Lesen meiner Krimis nie wieder in Erfahrung bringen werde, wer der Mörder ist, weil Lenny die letztes Seiten der Bücher schneller verschlingt als ich?

"Normale" Hunde haben einen will to please - sie möchten gefallen. Beagle haben einen ausgeprägten will to tease.

Kurz bevor ich so weit bin, Schlüsse aus meinen Überlegungen zu ziehen, schleicht Lenny an und stubst mir seine Nase unter den Ellenbogen, was zu interessanten Hebelwirkungen auf die in meiner Hand befindliche Kaffeetasse führt.

Es könnte alles so einfach sein...
...ist es aber nicht...

Da ich zu den Wiederholungstätern gehöre, bleibt mir nichts anderes übrig, als zuzugeben, dass ich wohl irgendwie auch eine masochistische Ader habe. Die Pflegestellen-Frau freut sich. Sie hat aus ihrer Erfahrung gelernt - immerhin etwas - und ist absolut sicher, dass sie nie, nie wieder einen Beagle aufnehmen wird. Das überlässt sie gerne den Masochisten unter den Hundefreunden.

Bevor Sie also ernsthaft in Erwägung ziehen, einem dieser bunten Hunde einen Platz in Ihrer Familie zu geben, klären Sie bitte die Frage "Bin ich Masochist?". Lassen sie sich einen Moment Zeit mit der Antwort und antworten Sie ehrlich!

Text/Copyright: Iris Alberts

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